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Körperlose Raumzeichen

Zu Jürgen Buhres sklupturalen Objekten

In der Malerei von Jürgen Buhre treffen sich an das Informel erinnernde Farbräume mit zeichenhaften Gestalten. Erzählerische Elemente tauchen in expressiven Farbwelten auf und schaffen eine untrennbaren Einheit von emotionaler Gestaltung mit rein malerischen Formen.

Ende der 1990er Jahre beginnt Jürgen Buhre seine ersten Experimente mit Objekten. Er isoliert die strichhaften Gestalten aus seinen Bildern. Sie verlassen die innerbildlichen Farbräume und treten in den realen Raum. Es sind schlanke, lineare Gebilde, geformt aus rostigem Moniereisen. Diese ersten Gestalten bleiben fast völlig in einer Ebene. Sie sind meist auf eine einzelne Ansicht beschränkt und benötigen oft den sie umgebenden Raum als optischen Halt.

In der Malerei, die in den folgenden Jahren entsteht, erobert sich Jürgen Buhre eine neue innerbildliche Räumlichkeit. Die Figuren geben ihren klar definierbaren Raum zugunsten einer neuen Räumlichkeit auf. Die Gestalten tauchen in einigen Bildern fast nur noch flüchtig auf, um zugleich wieder in die Farbe einzutauchen. Dies hält seine Bilder in einer dauerhaften innerbildlichen Bewegung.

Jürgen Buhre beginnt erneut mit skulpturalen Objekten zu experimentieren. Es entstehen erste kleine Modelle aus Draht, die einen spontanen Ausdruck fixieren. Die Umsetzung in große Objekte folgt in massiven Stahldrähten von unterschiedlicher Stärke. Sie werden erhitzt und damit verformbar gemacht. In einem langwierigen Arbeitsprozess des Erhitzens und wieder Erkaltens werden die Stangen in sich vielfach gedreht und gebogen, bis sie schließlich zu selbsttragenden skulpturalen Objekten werden. Im Laufe dieses Arbeitsprozesses, auch bedingt durch die Sprödigkeit des Materials, verändern sich die an den Modellen orientierten Formen der Objekte. Jürgen Buhre erreicht ebenfalls eine Spontaneität, die seiner Malerei gleich kommt.

Die Objekte scheinen auf den ersten Blick wie in einen imaginären Raum gezeichnete flüchtige Spuren. Sie wirken wie spielerisch gestaltete Linien, die einen vagen Weg im Raum beschreiben. Folgt man aber dieser Linie, wird man erst der Räumlichkeit dieser Objekte gewahr. Drähte überlagern und überschneiden sich, mal wirken sie wie in den Raum gestellte Knäuel, mal wie völlig lineare Formen. Aber sie haben immer auch erzählerische Momente. Sie beschreiben Formen, die an menschliche Gestalten erinnern, auch wenn sie oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind.

Schlaufenartige Gebilde können als kopfartige Formen interpretiert werden. Die losen Enden der Stangen greifen in den Raum, sie werden zu möglichen Extremitäten menschlicher Gestalten. Jürgen Buhres skulpturale Objekte können immer als figürliche Gebilde gelesen werden. Zeichenhaft treten sie in den Raum. Sie beschreiben keine Umrisslinien, sondern sie reduzieren die Körperform auf eine Linie, wobei ihre genaue Form oft ungewiss ist, letztlich unbestimmt bleibt. Sie unterliegen einer immerwährenden Veränderung, abhängig vom Standort und Blickwinkel des Betrachters. Sie entziehen sich geradezu einer einzigen Ansicht, wie sie sich auch einer eindeutigen inhaltlichen Aussage verweigern. Sie bleiben offen. Titel der Arbeiten geben höchstens Anregungen, in bestimmte Richtung zu denken.

Jürgen Buhres Objekte sind immer freistehend. Sie nehmen ganz bewusst Raum in Anspruch. Sie beschreiben einerseits einen Raum, der sich zwischen den gedrehten Stahldrähten befindet. Hier erscheinen sie als Begrenzung einer imaginären Körperlichkeit. Sie beschreiben mögliche Volumina. Zugleich leugnen sie in ihrer Linearität jegliches plastische Volumen. Anderseits greifen die Gebilde in den Umraum ein. Hier behaupten sie ihre eigene Räumlichkeit, die sich gegen den sie umgebenden Raum erwehrt. Dieses Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Ansichten und Lesarten hält die Objekte in einer dauernden, offenen Bewegung.

Inhaltlich beschreiben Jürgen Buhres Objekte oft Momente einer Bewegung. Seine Gestalten verharren einen Augenblick, um sich scheinbar wieder fort zu bewegen. Sie scheinen wie flüchtige Aspekte einer eingefrorenen Bewegung. Mal sind sie das Ergebnis einer genauen Beobachtung, mal aber auch abstrakte Liniengebilde.

Schaut man von der figürlichen Form auf die Oberfläche der Drähte, eröffnet sich eine ganz neue Welt aus Arbeitsspuren. Die belassenen Abdrücke der Zangen, die Spuren der erkalteten Hitze und Verdrehungen des Metalls schaffen eine bewegte Oberflächenstruktur. Diese Spuren schaffen im Detail Bewegungsmomente, die mit der Bewegung der Figur korrespondieren.

Jürgen Buhres Objekte sind von einer fast körperlosen Leichtigkeit. Es sind spindeldürre Gestalten, die sich den Raum erobern und sich gegen ihn behaupten. Dabei lassen sie sich als Ausdruck einer differenzierten Welt der Gefühle lesen. Mal hintergründig, mal selbstbewusst. Sie lassen den Betrachter sich in ihnen wiederfinden oder werden zu einem Gegenüber, fordern ihn zur Kommunikation mit ihnen auf.

Jürgen Buhres skulpurale Objekte werden zu körperlosen Raumzeichen. Sie erwehren sich einer am Menschen orientierten Körperlichkeit. Dies macht sie zu fast universellen Bildern, in denen menschliche Gefühle zum Ausdruck kommen.

Falko Herlemann