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Das königliche Spiel

Der genaue Ursprung des Schachspiels liegt im Dunkeln, vermutlich liegen seine Anfänge im 3. Jahrhundert in Indien. Schon die Autoren der ersten mittelalterlichen Schachbücher ("Schachsabelbücher") interpretieren das Spiel als eine belehrende Übung für die ritterlichen Tugenden, sei es in militärischen oder in gesellschaftlichen Fragen. Schach gilt seit seinen Anfängen als ein Strategiespiel, zugleich liefert es ein symbolisches Bild für die gesellschaftliche Hierarchie der mittelalterlichen Gesellschaft mit König, Kriegern und Fußvolk. Erst in jener Zeit verwandeln sich die Figuren des Schachspiels in ihre heute bekannte Form, so wird aus dem arabischen Wesir die Königin, aus dem indischen Elefanten der Läufer, aus dem Streitwagen der Turm.

Es sind diese Figuren des Schachspiels, mit denen sich Jürgen Buhre in seinen neuen Bildern auseinandersetzt. Sie liefern ihm die formalen Vorlagen für seine Hinwendung zu Bildern, in denen er die Figuration für sich neu entdeckt. Aus seinen auf wenige Linien reduzierten Strichmenschen sind oft ausladende Körper geworden.

Diese Figuren werden mit dick aufgetragener Farbe spontan auf die Leinwände gesetzt. Pinselspuren und der pastose Farbauftrag bleiben ganz bewusst stehen. Die Farbe verläuft zu ausladenden Rinnsalen. Sie türmt sich auf. Es entstehen zum Teil fast reliefartige Formen mit Furchen und Krusten. Manchmal erstrahlen diese massiven Farbballungen in einem ganz eigentümlichen Glanz.

Aus diesen Spuren, die auch immer ein Teil des malerischen Prozesses sind, formen sich fast zufällig die Figuren. Sie bleiben mehr oder weniger als Figuren des Schachspiels identifizierbar. Diese Figurationen entwickeln eine ganz eigene Plastizität. Sie scheinen räumlich. Sie gewinnen eine ganz eigene Körperlichkeit, eine eigenartige Schwere. Dabei scheinen sie vor dem Bildhintergrund zu schweben. Diesen Untergrund der Figuren gestaltet Jürgen Buhre in einer bewusst flächigen Malweise, hier werden mehrere dünne Farbschichten übereinander aufgetragen, selten entwickelt sich hier eine Räumlichkeit, die durch die Farbe bestimmt wird.

Mit einigen Arbeiten geht Jürgen Buhre noch einen Schritt weiter. Aus diesen Bildern werden Bildobjekte. Er formt aus alten, gebrauchten Mallappen Körperformen, die dann als Reliefs aus der Fläche treten. Sie heben sich noch stärker von dem Hintergrund ab. Diese Figuren wirken durch die fast aufquellenden Textilien noch räumlicher und bewegter. Der Umgang mit dem Ausgangsmaterial – mit Farbe durchtränkte alte Lappen – erscheint spielerischer. Diese Arbeiten gewinnen, trotz ihrer oft verdrehten Gliedmaßen, eine gewisse Art der Leichtigkeit und Bewegung. Das textile Ausgangsmaterial läßt beim Betrachter zugleich Assoziationen von Kleidung aufkommen.

In den neueren Bildern haben sich Figur und Hintergrund eher streng von einander getrennt. Die Figuren heben sich von dem Hintergrund ab. Manchmal werden sie durch eine Art Aureole aus Farbe oder Schattierung betont. Sie agieren wie auf einer Bühne aus fließenden Farben. Sie werden zu Hauptfiguren der Bilderzählung.

Farbe kommt in diesen Arbeiten eher wenig vor. Jürgen Buhre hat sie - analog zum Schachspiel - meist auf Schwarz-Weiß-Kontraste reduziert, das wenige Rot, Orange oder Grün setzt ganz bewusst Akzente.

Jürgen Buhres neue Arbeiten sind figürlicher geworden. Es sind zunächst abstrahierte Figuren. Bei einigen ist der Bezug zu den Figuren des Schachspieles offensichtlich, da finden sich diese typischen Kreuze als Markierung des Königs. Bei anderen löst sich Jürgen Buhre mehr und mehr von diesen Vorbildern. Diese Figurationen wirken wie Bilder von Menschen. Einige erinnern mit ihren dünnen Gliedmaßen und gestreckten Köpfen auch an insektenhafte Wesen ferner Welten.

Das wird in seiner Arbeit "Junge weiße Dame" deutlich. Da steht eine selbstbewusste Frau mit breit ausladenden Röcken und Armen wie dünne Tentakeln völlig symmetrisch im Bild. Sie erinnert mit ihrer Position im Bild an barocke Portraits von Königinnen mit ihren Reifröcken.

Das Schachspiel ist mit seinen Figuren für Jürgen Buhre mehr als nur ein Vorwand für eine Hinwendung zur Figuration. Schach ist in diesen Bildern Sinnbild des Lebens. In ihm drücken sich für Jürgen Buhre immer auch die Beziehungen von Menschen aus.

Jürgen Buhre thematisiert in den Arbeiten die Bedeutung, die hinter diesen Figuren stehen mag. Da gibt es einen kühlen Strategen, einen alten König, eine selbstbewusste Königin. Da geht es um Macht, ums Beharren, um Selbstbewusstsein, aber auch um Niederlagen und Verluste. In seiner Ausstellung in der Künstlerzeche Unser Fritz beginnen die Bilder – die Figuren – aufeinander zu reagieren. Da gerät der alte König schon mal in Gefahr, von einem jungen Rivalen geschlagen zu werden. Jürgen Buhres Bilder beginnen Geschichten zu erzählen. Die Titel der Arbeiten geben einige Hinweise, aber sie lassen auch genügend Raum für eigenen Assoziationen und Interpretationen.

Falko Herlemann