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Paris - Buhre - Paris

und die Chimären der Citè des Arts

Mein Besuch in Jürgen Buhres Atelier in Paris begann mit einer großen Überraschung. Ich war davon ausgegangen, neuere Arbeiten, vornehmlich auf Leinwand, vorzufinden. Was sich mir jedoch zeigte waren gänzlich neue Bildschöpfungen. Merkwürdige Wesen zeigten sich auf den eher kleineren Bildtafeln, die in ihrer Tendenz die vorgegebene Fläche sprengten und in den Raum ragten:

Bildreliefs - Reliefbilder mit ungewöhnlicher Stofflichkeit und doch unverwechselbar mit der Bildsprache des Künstlers Buhre versehen. Ich kannte Buhres skulpturales Werk und dessen engen Bezug zu seiner Malerei. Hier jedoch tauchte plötzlich ein symbiotisches Verschmelzen der unterschiedlichen Medien auf. Die von ihm benutze Materialität von Stoffen, die, teils verknotet, teils benäht oder verklebt, das eigentliche Sujet der Arbeiten bilden, haben mich verwirrt und fasziniert. Es waren "Zwischenwesen", ihre Stofflichkeit nicht verneinend, aber auch sich von ihr durch die malerische Umsetzung lösend. Windungen des Materials setzen die Naht als Saum, als Muster oder als Narbe ein; versinnbildlichen sie eine Wunde oder Narbe, oder fügen sie als Verbindungslinie zwei Dinge zu einem?

Zu den Grundlagen und Bedingungen ästhetischer Erfahrung gehört maßgeblich auch die Materialität und Dinghaftigkeit von Kunstwerken. Diese Dinghaftigkeit ist von den Erscheinungsweisen des Kunstwerks nicht zu trennen. Erst durch künstlerische Gestaltung, Akte des Interpretierens und Urteilens, Zuschreibungen, können die verwendeten Dinge zum ästhetisch erfahrbaren Werk werden. Dieser Transformationsprozess vom Ding zum Kunstwerk ist weder irreversibel noch von historischen, kulturellen und institutionellen Kontexten unabhängig. Das Verhältnis von Kunstwerk und Ding, so auch bei Jürgen Buhres "Chimären", gibt sich als eine Geschichte variierender Grenzziehungen und Entgrenzungen zu erkennen. Die Entgrenzung des Kunstwerks durch die Einverleibung von Gebrauchsgegenständen und Konsumgütern, eine Errungenschaft der Avantgarde, vornehmlich in seiner Entstehung in Paris beheimatet, hat Jürgen Buhre für sich entdeckt. Paris wurde für ihn somit ein Ort des reflektierten Innehaltens, des Distanzhaltens und der Weiterentwicklung seiner bisherigen künstlerischen Praxis. Er thematisiert damit die grundsätzliche Frage in der Kunst, nämlich die Grundannahme, dass ein Bild immer Bild von etwas ist, Darstellung einer Sache, mit der es selbst nicht übereinstimmt. Diese Differenz zwischen dem Bild als Gegenstand eigener Materialität und dem, was im Bild zur Anschauung kommt, hält Jürgen in den Bildobjekten - Objektbildern in der Schwebe.

Michael Kortländer